Prof. Dr. Ulrich Lakemann zur 2. Auflage von "Erlebnispädagogik im Wald"

 

"Viel zu lange ist die Erlebnis­pädagogik von außen als "Über­lebenstraining" belächelt und missverstanden worden. Das Buch "Erlebnispädagogik im Wald" von Hajo und Tobias Bach räumt nun endgültig auf mit zahlreichen Vorurteilen. Es geht hier nicht um Überleben, sondern um Erleben in einem möglichst nahen Kontakt zur Natur. Praxis, Abenteuerlust und Sinneserfahrung werden großgeschrieben, ohne dass Aktionen mit hohem logistischem Aufwand inszeniert werden müssten. Man lebt mit und aus der Natur.

Das Buch bietet zahlreiche, anschaulich erklärte und durch Zeichnungen "untermalte" Konstruktionsanleitungen, wie zum Beispiel das "Waldläuferbett". Viele praktische Tipps zum Feuer­ machen, Abseilen und Klettern, zur Überwindung von Schluchten und Gewässern sowie zum Bau von Baumspinnen (eine eigene Erfindung der Autoren zum Auf­finden bestimmter Ziele von einem Standort aus) sind in anregender Form praxis- und umsetzungsorientiert geschildert.

Hervorragend gelungen sind auch die Ausführungen zum Lagerfeuerabend und zur Sinneswanderung bei Nacht. Beide Aktionen trainieren authenti­sches Verhalten und einen hohen Respekt vor der natür­lichen Umgebung.

Von seiner Grundhaltung ist das Buch in einer eher vorsichtigen, behutsamen Stimmung geschrie­ben, die weit entfernt ist von einer Ideologie des "Zähne zusammenbeißen und durch". Es mildert dadurch die Brisanz, die ein längerer Aufenthalt in der "Wildnis" gerade auch für eher Unerfahrene haben kann, und eröffnet nicht nur diesen die nachhaltigen Erlebnisse eines Lebens in und aus der Natur. Das Buch ist dadurch eine klare  Auf­forderung zum Aktivwerden.

Neben den Konstruktionsvor­schlägen sind auch die Ausfüh­rungen zum Kochen ("Kulinarisches aus Wald und Wiese") hervorragend, zeigen sie doch, wie reichhaltig der Tisch mit  Ess­barem aus dem Wald gedeckt sein kann. Gleichzeitig sind die Autoren aber auch nicht zu eng­stirnig auf die natürlich auffind­bare Nahrung fixiert, sondern beziehen ganz flexibel Möglich­keiten der Beschaffung von Fleisch, Mohrrüben oder Kartof­feln beim Bauern in der Nähe ein.

Sehr gut deutlich wird der zurückhaltende Stil des Buches auch in dem Abschnitt über Orientierungsmöglichkeiten. Die Orientierung an Sonne, Ster­nen und Mond oder die technische Handhabung von Karte und Kompass werden auf das Wesentliche reduziert.Die Autoren "protzen" nicht mit ihrem Exper­tenwissen, sondern haben einen gesunden Sinn für Pragmatismus. Dadurch ist alles leicht verständ­lich. Ein Erfolgserlebnis stellt sich bereits beim Lesen und  erst recht beim späteren Ausprobieren ein.

Nicht fehlen darf natürlich ein Kapitel zu Erste-Hilfe-Maßnah­men.Dies ersetzt verständlicherweise nicht die praktische Kennt­nis und Beherrschung der Hilfeleistung im Notfall. Es zeigt aber, dass der Mensch Unfällen nicht hilflos ausgeliefert sein muss, auch wenn sich diese ver­gleichsweise weit entfernt von der Zivilisation ereignen.

Trotz kritischer Reflexionen und guter Einordnung in den Gesamt­kontext der Erlebnispädagogik im Wald finde ich persönlich allerdings die Konstruktions­hinweise für Fallen und Waffen etwas problematisch. Es wird klar herausgestellt, dass das Jagen von Tieren mit den dargestellten Fallen und Waffen verboten ist und in den Kursen der beiden Autoren auch nicht praktiziert wird. Ganz eindeutig weisen sie auch überzeugend darauf hin, dass sie weit entfernt sind von jeglicher vormilitärischer Ausbil­dung  (S. 193). Es ist verständlich, dass man über die Beschäftigung mit Fallen und Waffen Spannung und Abenteuerlust wecken möchte. Gleichzeitig können aber durch den ähnlichen Stel­lenwert, den das Bauen dieser Geräte im Vergleich zu den ande­ren Konstruktionsanleitungen erlangen kann, gewisse Tabus gelockert werden. So ist das Risi­ko eines späteren, dann unbeauf­sichtigten Nachbaus und Miss­brauchs von Waffen und Fallen nicht auszuschließen. Ähnliches gilt für das Schlachten von Tie­ren. Die beiden Autoren gehen aber sehr behutsam  mit diesen Themen um, und man traut ihnen zu, dass sie dieses Bewusstsein auch in ihren  Kursen vermitteln können. Letztendlich müssen sie immer  im Einzelfall entscheiden, inwiefern es Sinn macht, diese Formen des (Über-)Lebens in der Natur auch Kindern und Jugend­lichen zu vermitteln.

ln Teil II geht es dann um die Planung  und Organisation erlebnis­pädagogischer Angebote im Wald. Die Darstellung möglicher Kurse ist zielgruppenspezifisch und damit gut differenziert. For­men der Mitbestimmung des Pro­gramms werden ebenso deutlich wie klare Aussagen zur Zusam­menarbeit mit Behörden und anderen Institutionen. Für die Zusammensetzung einzelner Teams könnte ich mir eher vor­stellen, die Mitglieder auszulosen und so manchmal eingefahrene gruppendynamische Prozesse aufzubrechen. Auch zum kon­struktivistischen Ansatz (S. 172) hätte man gern in diesem Rah­men der Natur mehr erfahren.

Die Aufgaben einzelner Teams als Beiträge für die gesamte Aktion werden dann anschaulich und mit klarem Blick für Zeit­ und Organisationsstrukturen geschildert. Vor allem die Aussagen zu den personellen und materiellen Grundlagen eines Kurses im Wald zeigen ein hohes Maß an Professionalität. Die bei­den Autoren erliegen zum Glück nicht der Versuchung, diesen zweiten Teil zu sehr als Werbung für die eigenen Kurse zu nutzen. Natürlich gehen die Erfahrungen daraus in die Darstellung ein, sind aber so dosiert, dass sie in der Regel nur den Stellenwert von Beispielen haben.

Zum Schluss noch ein eher unwichtiges Detail: Etwas irritie­rend ist an manchen Textstellen der Gebrauch des Personalprono­mens "ich". Es handelt sich doch um zwei Autoren. Der Leser weiß nicht, wer hier schreibt: Vater oder Sohn? Oder sind beide so stark im Gleichklang, dass sie als eine Person schreiben können?

Insgesamt haben Hajo und Tobias Bach ein schönes und nützliches Buch geschrieben, das die Erleb­nispädagogik im Wald in einer realistischen, sehr praxis- und umsetzungsorientierten Perspek­tive schildert. Das Buch ist in einer zurückhaltenden, manch­mal bescheidenen Stimmung ver­fasst, gleichzeitig ist es aber weit entfernt von einer spirituellen Verklärung der Natur. Es zeigt, wie wenig inszeniert Erlebnis­pädagogik sein kann, um in abenteuerliche und nachhaltige Erfahrungen zu münden."

 

 

 



 

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